Mondsee-Tsunami

Ein Bericht von Hartmut Rüf

Zwei Jahre nach der Auffindung des ersten Pfahlbaudorfes am Attersee in Seewalchen entdeckte der Prähistoriker Matthäus Much im Jahre 1872 die Pfahlbaustation See am östlichen Ende des Mondsees. An Hand der reichen Funde prägte Much die Bezeichnung Mondseekultur.

Schon früh wunderte man sich über das Ausmaß der Funde in der Pfahlbaustation See. Bereits Much ging davon aus, dass eine Katastrophe das Ende des Pfahlbaudorfes hervorgerufen hätte. Bei einem geordneten Verlassen des Pfahlbaudorfes wären wohl Dinge von Wert wie z.B. Kupferbeile mitgenommen worden.

Die Fundumstände veranlassten den Geoarchäologen Alexander Binsteiner zu der Spekulation, dass ein Bergsturz vom Schafberg eine Flutwelle ausgelöst und diese zur Überschwemmung und Zerstörung des Pfahlbaudorfes geführt hätte. Die Meldung über den möglichen Bergsturz und seine Folgen in den heimischen Zeitungen geriet im Gegensatz zu sonstigen auch bedeutsamen archäologischen Ereignissen zu einem Medien-Hype. Die geneigten Leser delektierten sich mit wohligem Schaudern an der Katastrophenmeldung. Die Meldung schaffte es sogar bis zum „Spiegel“ in Hamburg, der dort geprägte Ausdruck „Mondsee-Tsunami“ ist bis heute lebendig geblieben.

Acht Jahre später, im Jahre 2016, äußerte A. Binsteiner in der Fernsehdokumentation „Mystisches Salzkammergut“ ein weiteres Mal sehr zum Missfallen der Archäologen des Kuratoriums Pfahlbauten seine Ansichten über den Untergang der Pfahlbausiedlung See.

Die Realität erwies sich jedoch als nicht so dramatisch. Untersuchungen an Bohrkernen vom Grund des Mondsees konnten schließlich nachweisen, dass es in der fraglichen Zeit des Endes der Pfahlbaustation See keinen Erdrutsch in den Mondsee und somit auch keinen Tsunami gegeben hatte. Die Bergsturzspuren am Hang des Schafberges sind mittelalter- bzw. neuzeitlich und datieren in die Jahre 1484 und 1639 nach Christus.

Für den Schweizer Archäologen Urs Leuzinger liegt eine mögliche Ursache für das Ende der Mondseekultur in einer allgemeinen Verschlechterung des Klimas um 3370 – 3350 v.Chr. Auch in der von ihm untersuchten Pfahlbausiedlung Arbon-Bleiche am Bodensee stieg damals der Seespiegel um mehrere Meter. Die Ursache für die hohe Fundkonzentration in der Pfahlbaustation See liegt somit weiterhin im Dunkeln.

Verwendete Literatur:  

Alexander Binsteiner: Naturkatastrophe in den Alpen – Der Untergang der Mondseekultur                    https://www.archaeologie-online.de/artikel/2010/naturkatastrophe-in-den-alpen/

Alexander Binsteiner: Die Rohstoffversorgung der jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlung von See am Mondsee, Oberösterreichische Heimatblätter, Heft 1/2, 2009, S. 3-10,  Amt der OÖ. Landesregierung

Alexander Binsteiner: Neues zum „Mondsee-Tsunami“ – Warum die Wellen der Empörung bei den Pfahlbauern so hoch schlagen https://www.ml24.at/interessantes/neues-zum-mondsee-tsunamie-warum-die-wellen-der-empoerung-bei-den-pfahlbauern-so-hoch-schlagen

Rupert Breitwieser: Der „Mondsee-Tsunami“ – Fakt oder Mediengag? Nachrichtenblatt Arbeitskreis Unterwasserarchäologie NAU 16 2010 S. 85-118

Christoph Daxer, Jasper Moernaut, Timothy Taylor, Jean Nicolas Haas & Michael Strasser: Late Glacial and Holocene sedimentary infill of Lake Mondsee (Eastern Alps, Austria) and historical rockfall activity revealed by reflection seismics and sediment core analysis, Austrian Journal of Earth Sciences Vienna 2018 Volume 111/1 111 – 134

Kuratorium Pfahlbauten: Richtigstellung zur Sendung „Mystisches Salzkammergut“ von ServusTV am 27.5.16 https://www.pfahlbauten.at/organisation/presse/pressemitteilungen/richtigstellung-zur-sendung-%E2%80%9Emystisches-salzkammergut%E2%80%9C-von

T. Swierczynski, S. Lauterbach, P. Dulski, and A. Brauer: Late Neolithic Mondsee Culture in Austria:living on lakes and living with flood risk? Clim. Past Discuss., 8, 5893–5924, 2012 

Matthias Schulz: Pompeji der Steinzeit, https://www.spiegel.de/spiegel/a-583343.html

Die Rohstoffversorgung an Feuerstein der Pfahlbaustation See am Mondsee

Ein Bericht von Hartmut Rüf

Der Prähistoriker Matthäus Much entdeckte im Jahre 1872 die Pfahlbau-siedlung See am Mondsee. Die dortigen überaus reichen Funde bilden mit denjenigen der Grabungen von Johann Offenberger in den 70er und 80er-Jahren die Basis der Studiensammlung des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien.

Das Silexinventar dieser Sammlung, 1558 Objekte, wurde auf seine Herkunft untersucht, wobei nur 3,4 % der Gerätschaften bekannten Abbaugebieten Bayerns und Norditaliens wie z.B. dem Hornsteinbergwerk Bayersdorf oder den Monti Lessini zugeordnet werden konnte. Es musste somit weitere, vermutlich lokale Quellen geben.

Geländebegehungen durch den Geoarchäologen Alexander Binsteiner gaben Hinweise auf mögliche Herkunftsorte: Vom namensgebenden Ort Oberalm bei Salzburg bis  zum Zwölferhorn zieht sich eine geologische Formation namens Oberalmer Kalke hin, die Hornstein-führende Schichten enthält. Fundstellen befinden sich am Mühlstein bei Elsbethen nahe Salzburg und im Königsbachtal bei Abersee am Wolfgangsee.

Eine zweite mögliche Quelle für die in der Pfahlbaustation See gefundenen Feuersteine sind die sogenannten Ruhpoldinger Schichten, die vor allem Radiolarit enthalten und sich vom namensgebenden Ort in Bayern nach Osten über die gesamte Kette der nördlichen Kalkalpen erstrecken.

Hornstein und Radiolarit (Anteile 60% bzw. 40% im Silex-Inventar der Studiensammlung der Universität Wien) – siehe auch Blog-Beitrag „Der Steinzeitwerkstoff Feuerstein“ von Martin Madera – bestehen wie Quarz aus Kieselsäure, sind hingegen biologischen Ursprungs (umgewandelte Kieselsäureskelette vorgeschichtlicher Algen). Hornstein ist meistens grau bis gelb, Radiolarit durch Eisenbeimengungen grün oder rot gefärbt. Die ihn bildenden Kieselsäureskelette stammen von den heute noch existierenden 0,15-0,5 mm großen Strahlentierchen (Radiolarien) ab, einer Kieselalgen-Art, die mit einem Alter der Gattung von über 500 Millionen Jahren zu den auf der Erde längstexistierenden Organismen zählt.

Eine Fundstelle für Radiolarit besteht im Laudachtal bei Gmunden, wo auch Abschläge und retuschierte Stücke entdeckt wurden; mangels Beifunden war jedoch keine zeitliche Einordnung möglich.

Eine weitere Fundstelle gibt es direkt vor der Haustüre der Pfahlbaustation See, am Fuße der Eisenau am Mondsee. Der Sturm „Emma“ im Jahre 2008 hatte dort zahlreiche Bäume entwurzelt und damit den felsigen Untergrund freigelegt. Auf Grund der räumlichen Nähe ist anzunehmen, dass die Mondseekultur diese Lagerstätte genutzt hat, auch wenn bisher keine Abbbaustelle identifiziert werden konnte.

Alexander Binsteiner schätzt die Mengen an gut spaltbarem Hornstein und Radiolarit in den genannten geologischen Formationen auf mehrere Millionen Tonnen.

Verwendete Literatur: 

Alexander Binsteiner: Eine einseitige Beziehung – Feuersteine der Monti Lessini in jungsteinzeitlichen Silexinventaren des Nördlichen Alpenvorlandes

https://www.archaeologie-online.de/artikel/2014/eine-einseitige-beziehung/

 Alexander Binsteiner: Die Rohstoffversorgung der jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlung von See am Mondsee, Oberösterreichische Heimatblätter, Heft 1/2, 2009, S. 3-10, Amt der OÖ. Landesregierung

Alexander Binsteiner: Die Lagerstätten und der Abbau Bayerischer Jurahornsteine sowie deren Distribution im Neolithikum Mittel- Und Osteuropas, Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 52 · 2005  S. 43-122

Michael Brandl , Robert Neuhauser und Beatrix Nutz:  Eine Silexlagerstätte im Laudachtal, Oberösterreich, Archäologle Österreichs 21/2, S. 41-46

Heinz Gruber: Das Neolithikum in Oberösterreich ein Überblick zum Forschungsstand, in: Fines Transire, Jahrgang 18, 2009 S. 133-144, Verlag Marie Leidorf GmbH • Rahden/Westf. 2009

Walter Leitner, Michael Brandl & Thomas Bachnetzer: Die Ostalpen als Abbaugebiet und Versorgungsregion für Silex und Bergkristall in der Prähistorie, in:  in: Goldenberg, Gert, Töchterle, Ulrike, Oeggl, Klaus, Krenn-Leeb, Alexandra: Neues zur Bergbaugeschichte der Ostalpen S.113-144, Verlag Österreichische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, Wien 2011

 

Jakob Maurer: Die Mondsee-Gruppe: Gibt es Neuigkeiten? Ein allgemeiner Überblick zum Stand der Forschung, in: Vorträge 32. Nieder-bayerischer Archäologentag, S. 145-190 Verlag Marie Leidorf, D-32369 Rahden/Westf.

Katalog – Mondsee Silices, uhasammlung.univie.ac.at

Geologische Karte der Republik Österreich 1 : 50.000, Erläuterungen zu Blatt 95 Sankt Wolfgang im Salzkammergut, Geologische Bundesanstalt, A-1031 Wien, Rasumofskygasse 23

Geologische Karte der Republik Österreich 1 : 50.000, Erläuterungen zu Blatt 65 Mondsee, Geologische Bundesanstalt, A-1031 Wien, Rasumofskygasse 23

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