Birkenteer – Forschung und Entwicklung von der Altsteinzeit bis heute

Martin Madera
10.05.2019

Als im Jahr 2001 zwei Steinartefakte in Campitello in Italien gefunden wurden, stand der Welt eine Sensation bevor. Auf den Artefakten wurden Reste einer schwarzen organischen Substanz gefunden, mit der die Steinkeile offensichtlich in einen Holzschaft geklebt worden waren. Eine Analyse ergab, dass es sich um Birkenteer handelt. Die Datierung der Artefakte ergab ein Alter von rund 200 000 Jahren.
Damit war erwiesen, dass Birkenteer das älteste von Menschen hergestellte Material ist und der Gebrauch von Birkenteer mehr als 100 000 Jahre bekannt war, bevor die ersten Keramiken hergestellt wurden. Bereits die Neanderthaler waren mit dem Gebrauch von Birkenteer als Klebstoff vertraut.
Birkenteer wird durch die trockene Destillation von Birkenrinde gewonnen. Dabei wird die Birkenrinde unter Luftabschluss auf ca. 350 – 500°C erhitzt. Über die Vorstufe des Birkenteers kann durch längeres Erhitzen das sogenannte Birkenpech hergestellt werden. Wichtig ist, dass als Ausgangsstoff Rinde und nicht Holz verwendet wird, da Birkenpech aus Holz nicht klebt.

Doch wie konnten die Menschen der Altsteinzeit ohne Keramikgefäße Birkenteer herstellen, wenn die Herstellung unter Luftabschluss erfolgen muss? Mit dieser Fragestellung beschäftigte sich 2017 ein Artikel in Nature, einer der renommiertesten Zeitschriften der wissenschaftlichen Literatur. Es wird von Versuchen einer Gruppe von Archäologen der Universität Leiden berichtet, die durch Erhitzen von gerollter Birkenrinde auf bzw. unter glühenden Kohlen Mengen an Birkenteer gewinnen konnten, die für die Schäftung von Steinwerkzeugen ausreichend waren. Damit war der Beweis erbracht, dass die Herstellung von Birkenteer auch ohne Keramikgefäße möglich ist.

Chemisch gesehen ist Birkenteer ein Gemisch aus flüchtigen Bestandteilen der Birkenrinde. Dabei sind Betulin, Betulinsäure und Lupeol, die chemisch eng verwandt sind und zur Gruppe der Terpene gehören, Hauptbestandteile. Der Nachweis von Betulin, das für die weiße Farbe der Birkenrinde verantwortlich ist, ist spezifisch für Birkenpech und das wichtigste Unterscheidungsmerkmal gegenüber Teeren, die aus anderen Rindenarten hergestellt wurden.
Der Herstellungsprozess und die Verwendung von Birkenteer und verwandtem Produkten ist eine der ältesten Technologien der Menschheit und durchlief über Jahrtausende einen Entwicklungsprozess, der immer noch nicht abgeschlossen ist. Schon in der Steinzeit wurde Birkenteer nicht nur als Klebstoff verwendet. Es finden sich auch Kauspuren an Teerfundstücken, wobei nur darüber spekuliert werden kann, ob damals schon Birkenpech auch für medizinische Zwecke eingesetzt wurde. In der Antike und im Mittelalter wurde Birkenpech zum Abdichten von Schiffen verwendet. In der Neuzeit wurde Birkenteer zur innerlichen Anwendung gegen Würmer und äußerlich als Abwehrmitteln gegen Gelsen und andere Insekten empfohlen.

Derzeit kommt Birkenteer vor allem in Salben zur Behandlung von Hautkrankheiten zum Einsatz. Durch die aktuelle Forschung zur Verwendung von einzelnen Bestandteilen des Birkenteers und der Birkenrinde, könnte sich in Zukunft ein weites Anwendungspektrum ergeben. Geforscht wird vor allem zum Einsatz von Betulin in der Krebstherapie, da es bei Tumorzellen den Prozess der Apoptose, dem Zelltod, hervorrufen kann, sowie zu seiner antiviralen und entzündungshemmenden Wirkung und zum Einsatz in Biopolymeren.